Schwindel

Schwindel tritt sehr häufig auf und kann sehr belastend und einschränkend sein. Streng genommen ist der Begriff definiert als eine Scheinbewegung der Umwelt oder des eigenen Körpers, der durch unterschiedliche Informationen der Sinnesorgane entsteht. Dieser kann sich als Drehschwindel („Karusselgefühl“) oder linear als Schwankschwindel („Liftfahren“, „wie auf einem Schiff“) äußern. Weiterhin kann bei verschiedenen Krankheitsbildern oder Funktionsstörungen ein Benommenheitsschwindel oder unsystematischer Schwindel auftreten, zum Beispiel als Nebenwirkung von Medikamenten oder bei neurodegenerativen Erkrankungen. Demgegenüber kommt es zum Beispiel bei drohendem Kreislaufkollaps, bei Blutzuckerentgleisung, Gang- oder Sehstörungen zu Veränderungen der Wahrnehmung, die als „Pseudoschwindel“ bezeichnet werden.

Die Entstehung von Schwindel

Der Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung von Bewegungsinformationen ist komplex und umfasst Strukturen des Gleichgewichtsorgans, anderer Sinnesorgane (Sehen, Hören), des Hirnstammes, Kleinhirns und Großhirns. Dementsprechend sind die Ursachen für das Auftreten von Schwindel vielfältig. Neben den genannten Komponenten müssen auch die Herz-Kreislauf-Situation, sonstige Vorerkrankungen und ggf. die eingenommenen Medikamente berücksichtigt werden.

Je nach Ort der Schädigung unterscheidet man im Gleichgewichtsorgan selbst verursachte (= vestibuläre) Störungen, Funktionsstörungen des Gleichgewichtsnervs (N. vestibularis), des Hirnstamms und Kleinhirns sowie nichtvestibuläre Störungen (kardiovaskulär, hämatologisch, hormonell, metabolisch, medikamentös, toxisch, zervikal, psychisch).

Häufig auftretende Formen von Schwindel

Benigner parosysmaler Lagerungsschwindel

Die häufigste Form von Schwindel ist der gutartige Lagerungsschwindel oder benigner parosysmaler Lagerungsschwindel. Die Lebenszeithäufigkeit beträgt 2,4% der Bevölkerung.

Hier kommt es zu kurzen Drehschwindelattacken mit kurzem rotatorischen Nystagmus von 30-60 sec Dauer mit Schweinbewegungen der Umwelt. In den meisten Fällen sind harmlose kleine Kalziumkristalle verantwortlich, die in den hinteren vertikalen Bogengang geraten und hier eine Erregung des Nervs und damit einen fälschlichen Bewegungseindruck suggerieren.

Unbehandelt hält diese Schwindelform Wochen bis Monate an und tritt jeweils nach Bewegung des betroffenen Bogengangs auf, häufig durch Drehungen im Bett. Therapeutisch wird versucht, die Kalziumkristalle rein mechanisch aus dem betroffenen Bogengang hinauszubefördern. Dies gelingt in den meisten Fällen durch spezielle Lagerungsübungen, die Befreiungsmanöver nach Sémont oder Epley, die eigenständig und wiederholt durchgeführt werden sollen, und mit denen innerhalb weniger Tage in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine Heilung eintritt. Überbrückend können kurzzeitig Medikamente gegen die starke begleitende Übelkeit eingesetzt werden. Cortison oder andere Medikamente sind nicht hilfreich.

Auf der Homepage des LMU in München können Übungsanleitungen der jeweils betroffenen Seite zur selbständigen Therapie heruntergeladen werden:

http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Deutsches-Schwindelzentrum-IFB-LMU/download/inhalt/Patienten/BPPVlinks-posterior.pdf

http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Deutsches-Schwindelzentrum-IFB-LMU/download/inhalt/Patienten/BPPVrechts-posterior.pdf

Auch im Internet finden sich viele weitere Informationen und Videos. Exemplarisch ist hier nachfolgendes Youtube-Video zum Lagerungsmanöver nach Sémont der Seite schwindel-ratgeber.de aufgeführt:
https://www.youtube.com/watch?v=lx2WdHrS-8Y

Neuritis vestibularis

Diese Erkrankung ist Ausdruck eines akuten Ausfalls des Gleichgewichtsorgans auf einer Seite, vermutlich durch oder im Rahmen einer viralen Infektion.

Klinisch tritt akut ein heftiger Dauerdrehschwindel auf, begleitet von Stand- und Gangunsicherheit und dadurch einer Fallneigung zur betroffenen Seite. Dazu kommen Übelkeit, Erbrechen und ein schweres Krankheitsgefühl. In der Untersuchung zeigt sich ein Spontannystagmus zur nicht betroffenen Seite. Weitere Untersuchungen (Kopfimpulstest, kalorische Erregbarkeit des Gleichgewichtsorgans) sind ebenfalls auffällig. Die Symptomatik bessert sich durch Anpassungsvorgänge innerhalb des Gehirns nach 2-3 Wochen und klingt nach 4-5 Wochen in der Regel ganz ab. Therapeutisch kann der Krankheitsprozess durch kurzzeitige Cortisontherapie deutlich abgekürzt werden, außerdem werden Medikamente gegen Schwindel und Übelkeit eingesetzt. Gleichgewichtstraining ist ebenfalls von großer Bedeutung.

Morbus Menière

Beim M. Menière kommt zu wiederholten Attacken eines plötzlichen heftigen Drehschwindels von mindestens 20 min Dauer. Zusammen mit dem Schwindel, der unvermittelt ohne spezifische Auslösefaktoren auftritt, werden eine vorübergehende Hörminderung und / oder Ohrdruck auf dem betroffenen Ohr bemerkt.

In der Anfangsphase ist die Diagnostik unergiebig, da sie meist wieder im beschwerdefreien Intervall erfolgt, so dass die Erkrankung anhand der Anamnese nur vermutet werden kann. Erst später im Verlauf nach wiederholten Attacken kommt es zu einer bleibenden Hörminderung im Tieftonbereich und eventuell zu einem dauerhaften Tinnitus. Die Diagnostik erfolgt mittels Hörtest, Testung der Erregbarkeit des Gleichgewichtsorgans und ggf. einer Bildgebung zum Ausschluss sonstiger morphologischer Ursachen.
Therapeutisch werden während einer Attacke Schwindelmedikamente eingesetzt, prophylaktisch ist eine Therapie mit Betahistin gängig.

Bilaterale Vestibulopathie

Hierbei tritt ein chronischer lageabhängiger Schwindel auf, der meist schwankend empfunden wird. Häufig wird ein „Nachruckeln“ des Bildes wahrgenommen, was zu Gangunsicherheit v.a. im Dunklen und auf unebenem Boden führt.

Ursächlich sind oft Medikamente, die Ohr und Gleichgewicht schädigen können (z.B. einige Antibiotika), eine durchgemachte Meningitis, ein beidseitiger M. Menière oder eine neurodegenerative Erkrankung. Über die Hälfte der Fälle treten jedoch idiopathisch meist im höheren Alter auf. Die Diagnostik zeigt eine Minderfunktion des Gleichgewichtsorgans (Kopfimpulstest, kalorische Prüfung). Therapeutisch ist Gang- und Gleichgewichtstraining hilfreich, eventuell kann über begrenzte Zeit Cortison eingesetzt werden.

Zentrale Schwindelformen

Bei Schwindelsymptomen muss eine sehr sorgfältige Untersuchung erfolgen, um zentralnervös bedingte Schwindelformen auszuschließen. Ein zentraler Lagerungsschwindel kann bei akuten Erkrankungen von Hirnstamm oder Kleinhirn auftreten; eine mangelhafte Blutversorgung dieser Bereiche kann zur „vertebrobasilären Insuffizienz“ mit Schwindel führen. Zentralnervös verursachter Schwindel kommt außerdem bei manchen Formen einer Migräne, bei Intoxikationen oder bei degenerativen Erkrankungen vor. Auch eine Verletzung der A. vertebralis am Hals (Vertebralisdissektion) kann sich als Schwindel äußern.

Sonstige Schwindelursachen

Schwindel kann auch empfunden werden, wenn Gleichgewichtsorgan und Kleinhirn intakt sind wie  Schwindel und Übelkeit beim Autofahren oder vor großen Höhen und Tiefen. Eventuell tritt attackenartig Schwindel mit Stand- und Gangunsicherheit auf, vor allem in belastenden Situationen, der zu starker Angst und zur Vermeidung möglicher Auslöser führt. Die klinisch-neurologische Untersuchung und auch die HNO-ärztliche Diagnostik ergeben hier komplett unauffällige Befunde. Man spricht von einem „phobischen Schwankschwindel“, der die dritthäufigste Schwindelform darstellt.

Schwindel kann aber auch als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten, auch wenn die Kreislaufsituation normal ist. Darüber hinaus wird Schwindel häufig auch bei Beschwerden an der Halswirbelsäule wahrgenommen, denn in den oberen zervikalen Nervenwurzeln verlaufen Nervenfasern, die für Raumorientierung, Haltungsregulation und Kopf-Rumpf-Koordination mitverantwortlich sind. Eine Störung kann zu Gangunsicherheit und unspezifischem Schwindel führen. Auch bei einer Verletzung eines hirnversorgenden Gefäßes (Vertebralisdissektion) kann ein zentraler Schwindel auftreten. Die neurologische und bei Bedarf die HNO-ärztliche Diagnostik sind notwendig, um die verschiedenen Schwindelformen voneinander abzugrenzen und möglichst ursächlich zu behandeln.