Migräne

Häufigkeit und klinische Ausprägung

Migräne beschreibt das wiederholte Auftreten meist einseitiger, pochender/hämmernder Kopfschmerzen, die mehrere Stunden bzw. Tage anhalten (laut Internationaler Kopfschmerzgesellschaft zwischen 4 und 72 Stunden).

Migräne ist nach Spannungskopfschmerz der häufigste Kopfschmerztyp. Laut WHO sind von ihr weltweit 8% der Männer und 18% der Frauen betroffen; in Deutschland geht man von 8 Millionen Menschen mit Migräne aus. Im mittleren Lebensalter sind im Verhältnis mehr Frauen als Männer betroffen, bedingt u.a. durch Schwankungen im Östrogenspiegel. Gemessen an Behandlungskosten und Ausfallzeiten am Arbeitsplatz ist die Migräne die wohl bedeutendste Hirnerkrankung.

Migräne ist klassifiziert als eine Form eines „primären Kopfschmerzes“, weil keine pathophysiologisch fassbare oder morphologische Veränderung zugrunde liegt. Jedoch gibt es eine Vielzahl von individuell unterschiedlichen Auslösefaktoren (siehe unten).

Wie äußert sich die Migräne typischerweise?

Die Beschwerden beginnen oft in den frühen Morgenstunden oder schon beim Aufwachen. Begleitend besteht häufig eine Überempfindlichkeit gegen Licht (bei ca. 60% der Episoden), laute Geräusche (50%) und Gerüche (10%). Begleitend sind fast immer Appetitlosigkeit, Übelkeit (bis 80%) und Erbrechen (bis 50%). Bereits vor der Attacke kommt es bei ca. 1/3 der Patienten zu Vorboten. Diese können einer Migräneattacke wenige Stunden bis zu zwei Tage vorausgehen. Es treten vor allem psychische, neurologische und vegetative Krankheitszeichen wie Müdigkeit oder Überaktivität, verminderte Leistungsfähigkeit, Gähnen, Stimmungsschwankungen, Durst oder innere Unruhe auf. Aber auch Störungen des Magen-Darm-Trakts oder Heißhungerattacken (die oft fälschlicherweise als Migräneauslöser gedeutet werden) auf bestimmte Nahrungsmittel kommen vor.

Man unterscheidet die Migräne ohne Aura von der viel selteneren Migräne mit Aura (ca. 10%). Bei der Migräne mit Aura kommt es typischerweise vor Auftreten der Kopfschmerzen zu neurologischen Ausfallerscheinungen, in den meisten Fällen zu Sehstörungen. Diese werden als Flimmern, Schleiersehen oder teilweise als gezackte Figuren im Gesichtsfeld wahrgenommen; teilweise treten auch Gesichtsfeldausfälle auf. Seltener kommt es zu anderen vorübergehenden neurologischen Ausfällen wie zum Beispiel Lähmungen einer Körperhälfte oder eines Arms / Beins, sensible Ausfälle, Schwindel oder Sprachstörungen. Die Dauer ist typischerweise begrenzt (ca. 30 min) und tritt vor Beginn der eigentlichen Kopfschmerzen auf.

Migräne im Kindes- und Jugendalter

Auch bei Kindern im Schulkindalter kommt Migräne vor (ca. 2,5% der Kinder bis 9 Jahre, ca. 5% bis 12 Jahre), hier bei Mädchen und Jungen gleich häufig. Die Kopfschmerzen werden oft von starker Übelkeit und Brechreiz und / oder Bauchschmerzen begleitet. Im Unterschied zu Erwachsenen sind die Kopfschmerzattacken häufig kürzer, oft beidseitig und mit starker Betonung auf die Begleitsymptome (Bauchschmerzen), was das Erkennen erschwert. Nach der Pubertät kommt es häufig zu einer deutlichen Besserung oder sogar zum Verschwinden der Migräne. Die Prognose verbessert sich, wenn es gelingt, typische Triggerfaktoren zu vermeiden, und verschlechtert sich bei dauerhaftem Stress.

Auslösefaktoren

Es gibt verschiedene Faktoren und Substanzen, die einen Migräneanfall auslösen können, die sogenannten „Triggerfaktoren“. Diese Migräneauslöser sind individuell sehr unterschiedlich. Einige typische Faktoren sind häufig (mit-)verantwortlich:

  • Alkoholkonsum (v.a. Rotwein),
  • Bestimmte Nahrungsmittel (Käse, Schokolade, Glutamat, Räucherfleisch, Zitrusfrüchte),
  • Erhöhtes Stresslevel, Änderung des Stressniveaus,
  • Wetteränderungen (v.a. durch Luftdruckänderungen bedingt),
  • Veränderung des Schlafrhythmus, Schlafstörungen,
  • Hormonelle Schwankungen (Östrogenabfall vor der Menstruation),
  • Emotionale Einflüsse (Streit, Wut, Ängste, Ärger),
  • Reizüberflutung (TV, Smartphone, Lärm, Multitasking-Anforderung)

Sonderformen der Migräne

Migräne mit Aura

Diese Form ist mit 10% relativ selten. Es kommt typischerweise vor den Kopfschmerzen für eine Dauer von 30-60 Minuten zu neurologischen Ausfällen. In den meisten Fällen betrifft dies die Sehfähigkeit: Lichtblitze, farbige Flecken oder Zacken werden wahrgenommen. Manchmal treten auch motorische oder sensible Ausfallerscheinungen oder eine Sprachstörung auf.

„Basilaris-Migräne“

Bei einer Basilarismigräne kommt es zusammen mit den Kopfschmerzen, die meist am Hinterkopf wahrgenommen werden, zu Schwindel, der die Kopfschmerzen überdauern kann. Teilweise auch zu Sehstörungen (Doppeltsehen) und Missempfindungen an den Extremitäten. Diese Form ist schwierig zu diagnostizieren.

Vestibuläre Migräne

Bei dieser Erkrankungsform ist vor allem das Gleichgewichtsorgan betroffen. Kopfschmerzen sind in den meisten Fällen ebenfalls spürbar. Vor allem leiden Betroffene aber unter Schwindel, der attackenartig auftritt.

Chronische Migräne

Davon sprechen Ärzte, wenn Betroffene über mehr als 3 Monate an mehr als 15 Tagen im Monat unter Attacken leiden.

Pathophysiologie der Migräne: Viele Theorien, viel Forschung

Die Migräne ist eine komplexe durch verschiedene pathophysiologische Mechanismen hervorgerufene Erkrankung. Die einzelnen Vorgänge und deren Zusammenspiel werden intensiv erforscht, sind jedoch noch nicht abschließend geklärt. Zusammenfassend kann Folgendes gesagt werden: Eine Migräneattacke kommt durch eine Aktivierung bestimmter Strukturen des Hirnstamms, des trigeminovaskulären Systems, zustande. Diese besteht in einer neurogenen Entzündung der harten Hirnhaut (mit den Folgen einer Gefäßerweiterung kleiner Hirnhautgefäße, Plasmaausstrom ins perivaskuläre Gewebe, Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Histamin, Serotonin, Prostaglandinen u.a.). Der Schmerz entsteht an der Hirnhaut durch eine lokale Gefäßerweiterung nach Ausschüttung gefäßaktiver Neuropeptide wie Substanz P und CGRP (Calcitonin-Gene-related-Peptid) durch den 5. Hirnnerv. Über die Fasern des N. trigeminus wird der Schmerz dann größtenteils weitergeleitet. Daneben ziehen einige Fasern zur Hinterwurzel des oberen Halsmarks, wodurch die häufig auftretenden Nackenschmerzen bei Migränepatienten verursacht werden. Noch andere Fasern gehören zum vegetativen Nervensystem und enthalten ebenfalls gefäßerweiternde und –verengende Peptide.

Eine wichtige schmerzkontrollierende Funktion scheint eine zentrale Hirmstammstruktur zu haben, das periaquäaduktale Grau (PAG). Seine vorübergehende Funktionseinschränkung scheint mitverantwortlich für die Auslösung einer Migräneattacke zu sein. Genetische Faktoren können eine veränderte Funktion dieser Struktur und damit eine Disposition zur Migräne verursachen.

Die schmerzvermittelnden Fasern gelangen also vom unteren Hirnstamm oder dem oberen Halsmark in den Thalamus (kontralaterale Seite), wo sie verarbeitet und so bewusst wahrgenommen werden.

Die Ursache der Aura

Die Aura, die vielen schweren Attacken vorausgeht, lässt sich mit der schon vor 70 Jahren vermuteten Erregbarkeitshypothese erklären („Cortical Spreading Depression“ = CSD), wonach durch eine Reizung der Hirnrinde eine flächige Depolarisation von Nervenzellen über die Hirnrinde ausgelöst wird. Die Ausbreitung dieser Erregbarkeit konnte mittlerweile auch bildlich dargestellt werden. Diese Ausbreitung bringt eine Durchblutungsminderung und die Freisetzung gefäßaktiver Neuropeptide mit sich. Möglicherweise sind genetische Einflüsse (eventuell ein Ca-Kanal-Defekt) ursächlich für die Entwicklung einer Aura (Diener, 2003 Referenz-Reihe Neurologie: Klinische Neurologie: Kopfschmerzen).

Therapie der Migräne

Ziel der Akuttherapie ist es, die Migräneattacke möglichst schnell und vollständig zu beenden. Bei einer hohen Anzahl von Migräneattacken pro Monat kommt weiterhin die prophylaktische Therapie zum Einsatz. Diese soll langfristig die Häufigkeit und Intensität von Migräneanfällen reduzieren. Sowohl für die Akuttherapie als auch für die prophylaktische Therapie stehen medikamentöse und nicht-medikamentöse Mittel zur Verfügung.

Medikamente für die Akuttherapie

  • Schmerzmittel wie Nichtopioidanalgetika und nichtsteroidale Antiphlogistika (ASS, Paracetamol, Ibuprofen), die häufig eine Linderung erbringen, aber nicht immer wirksam sind.
  • Triptane, die durch eine Verengung der Blutgefäße im und am Kopf die durch Gefäßerweiterung bedingten Schmerzen reduzieren sollen (ebenso wirkt Ergotamin, jedoch schwächer als Triptane).
  • nicht-pharmakologische Maßnahmen wie Minzöl, Entspannung etc. Deren Wirksamkeit in der Akuttherapie ist bisher wissenschaftlich nur wenig untersucht worden. Auch Akupunktur ist als nichtmedikamentöses Verfahren wirksam in der Behandlung einer akuten Migräne. Der Effekt konnte in zwei wissenschaftlichen Studien belegt werden (DGN, 2017).

Wann kommt eine medikamentöse Migräneprophylaxe zum Einsatz?

Bei der Entscheidung für den Beginn einer medikamentösen Prophylaxe sind der individuelle Leidensdruck und die Einschränkung durch die Erkrankung entscheidend. Orientierend werden folgende Kriterien herangezogen:

  • mindestens 3 belastende und einschränkende Migräneattacken pro Monat
  • Dauer der Migräne meist länger als 72 Stunden
  • Keine Wirksamkeit der Akuttherapie oder Kontraindikationen / zu starke Nebenwirkungen der Triptane oder sonstiger Medikamente
  • Einnahme von Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat
  • bei „komplizierter Migräne“, d.h. langer Aura oder beeinträchtigenden neurologischen Ausfällen
  • bei erlittenem migränösen Infarkt

Medikamente für die prophylaktische Therapie können Betablocker, Substanzen aus der Klasse der antiepileptischen Medikamente, Antidepressiva oder einige Blutdrucksenker (Ca-Antagonisten) sein. In seltenen Fällen, v.a. bei chronischer Migräne, kann der Einsatz von Botulinumtoxin A erwogen werden.
Nicht-pharmakologische Verfahren sind Ausdauersport, aber auch andere Sportarten, Yoga, Entspannungstechniken, Biofeedback, Lifestyle-Änderung etc.

Laut nationalen Leitlinien soll die medikamentöse Therapie durch nichtmedikamentöse Verfahren ergänzt oder sogar ersetzt werden. Regelmäßiger Ausdauersport wird empfohlen. Bei hoher Attackenfrequenz und starken Einschränkungen der Lebensqualität sollte auch eine psychologische Schmerztherapie (Schmerzbewältigung, Entspannungsverfahren, Stressmanagement) durchgeführt werden (DGN, 2017).
Ziel der Migräneprophylaxe ist eine Reduktion von Häufigkeit, Dauer und Intensität der Migränekopfschmerzen sowie die Vermeidung von Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch. Als wirksam wird eine Senkung der Häufigkeit von 50% angesehen.

Neuromodulierende Verfahren zur Migränetherapie (DGN 2017)

Nach sorgfältiger Abwägung kann in einigen Fällen einer chronischen Migräne eine chronische Stimulation des N. occipitalis major (ONS) eingesetzt werden. Seit 2011 ist hierfür ein Neurostimulator zugelassen. Die Durchführung ist zur Zeit jedoch nur im Rahmen von Studien zu empfehlen. Weitere invasive Stimulationsverfahren (hochzervikale Rückenmarksstimulation, Stimulation des Ganglion sphenopalatinum, supra- und infraorbitale Nervenstimulation) sind speziellen Kopfschmerzzentren vorbehalten, hierzu fehlen größere Studien.

Auch nichtinvasiv kann eine Neurostimulation erfolgen, die dann an Ausläufern des N. vagus (z.B. über eine Ohrelektrode) oder des N. trigeminus erfolgt. Es gibt Verfahren mit repetitiver transkranieller Stimulation (rTMS) oder Stimulation über die Haut mittels TENS. Hierbei soll die kortikale Erregbarkeit und damit der Kopfschmerz v.a. bei Migräne mit Aura reduziert werden. Zu diesen Verfahren existieren bisher jedoch nur wenige Studien, so dass der Einsatz noch nicht empfohlen wird.

Sonderform Medikamenten-induzierter Kopfschmerz

Dies beschreibt einen chronischen, d.h. mindesten 15 Tage pro Monat auftretenden Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (an 10–15 Tagen pro Monat, seit ≥ 3 Monaten). Laut DGN kann der Übergebrauch jeglicher Kopfschmerzmittel (Analgetika, Ergotamin, Triptane, Benzodiazepine, Opioide, Barbiturate) zur Entwicklung eines Kopfschmerzes führen. Betroffene Patienten entwickeln meist einen diffusen holokraniellen, dumpf drückenden Kopfschmerz ohne vegetative Begleiterscheinungen. Migränepatienten mit Triptanübergebrauch entwickeln häufig zunächst eine Zunahme der Migränefrequenz und später einen pulsierenden klopfenden Kopfschmerz, teilweise in Verbindung mit Übelkeit. Die für die Entwicklung des Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch kritischen Einnahmedauer und -frequenz sind am kürzesten und niedrigsten für Triptane und Mutterkornalkaloide und länger und höher für Analgetika (Evers et al. 1999, Limmroth et al. 2002, in DGN 2012). Therapeutisch muss ein Medikamentenentzug erfolgen. Überbrückend müssen meist andere Medikamente, teilweise auch Cortison, eingesetzt werden. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt kann sinnvoll sein.

Lesen Sie auch: Sport bei Migräne