MS ist eine Autoimmunerkrankung des Zentralnervensystems (ZNS), die meist in Schüben auftritt. Das Zielgewebe der multifokal auftretenden Entzündung ist das Myelin, die Hüllschicht der Nervenzellen, das von Oligodendrozyten gebildet wird. Entzündungen zeigen sich im Gehirn und im Rückenmark.
Die genauen Ursachen für den Ausbruch der Erkrankung und für die nachfolgende Schubaktivität ist noch unklar, jedoch spielen genetische, erregerbedingte und Umweltfaktoren eine maßgebliche Rolle. Der Ausbruch der Erkrankung scheint durch Erreger getriggert zu sein. Schubauslösend können u.a. Infektionen, starke psychische Belastung und Aktivimpfungen sein.
Die Erkrankung wird meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr manifest, je 20% bereits vor und nach dem 40. Lebensjahr. Meist ist die Erkrankung zu Beginn schubförmig („Relapsing Remitting“, RRMS), teils mit Progredienz zwischen den Schüben, und im Verlauf sekundär progredient („secondary progressive“, SPMS), nur bei 10-15% ist sie von Anfang an progredient ohne das Auftreten von Schüben („primary progressive“, PPMS). In Deutschland leiden ca. 240.000 Menschen an einer MS (laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung 2014), dies entspricht einer Prävalenz von rund 300/100.000 Patienten.
Im Entzündungsherd im ZNS tritt eine Myelinschädigung („Demyelinisierung“) ein, die zu einer Narbe (Gliose) führt. Weiterhin kommt es im Rahmen der Entzündungsreaktion zu einer unterschiedlich stark ausgeprägten Schädigung der Nervenfasern selbst (axonale Degeneration), die für das Voranschreiten der Erkrankung maßgeblich ist.
Die klinischen Erscheinungen sind abhängig vom Ort der Entzündungsherde. Sie halten Stunden oder Tage an und bilden sich unbehandelt mehr oder weniger schnell und teils unvollständig zurück. Häufig sind Sehstörungen, Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Beeinträchtigung der Feinmotorik, der Blasenfunktion, Störungen der Hirnnerven (z.B. Trigeminusneuralgie) und psychische Störungen. Die klinische Beeinträchtigung des Patienten wird mittels einer speziellen Skala, dem EDSS (expanded disability rating scale) zwischen 0 und 10 ermittelt.
Zur Diagnose der Erkrankung ist der Nachweis einer multifokalen und einer mehrzeitigen Entzündung des Zentralnervensystems notwendig. Neben der Anamnese und den klinischen Befunden ist eine Bildgebung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark) per MRT notwendig. Weiterhin weist die Untersuchung der Nervenflüssigkeit mittels Lumbalpunktion bei 85% entzündliche Veränderungen nach (Lymphozyten, Zellzahlerhöhung, teils Eiweißerhöhung, Produktion von spezifischen IgG-Antikörpern, den „oligoklonalen Banden“).
Eine sichere MS wird diagnostiziert, wenn mindestens zwei zerebrale bzw. spinale Entzündungsherde vorliegen und wenn Aktivität zu mehreren Zeitpunkten besteht. Wenn ein isolierter Schub auftritt, spricht man von einem CIS, einem „klinisch isolierten Syndrom“. Neben den klassischen Formen einer MS gibt es noch seltene Sonderformen wie die Neuromyelitis optica (Befall nur der Sehnerven und des Rückenmarks) oder die akut verlaufende einzige schwere Entzündung (akute disseminierte Encephalomyelitis = ADEM).
Wie wird die MS therapiert?
Bei der Therapie der MS werden einerseits akute Schübe, andererseits das Voranschreiten der Erkrankung bekämpft. Die Therapie des akuten Schubs erfolgt mit hochdosiertem meist intravenös verabreichtem Cortison mit dem Ziel, die Entzündung zu stoppen und die klinische Symptomatik rückgängig zu machen.
Zum einen sind die Symptome des akuten Schubs störend und beeinträchtigt, zum anderen geht man davon aus, dass ihre Rückbildungswahrscheinlichkeit umso geringer ist, je länger die klinische Symptomatik anhält. Cortison wirkt beim MS-Schub antientzündlich, antiödematös und stabilisiert die Blut-Hirn-Schranke. Bei ausbleibendem Effekt der Cortisontherapie muss eventuell nach ca. 2 Wochen eine weitere Cortisonstoßbehandlung durchgeführt werden, bei fehlendem Ansprechen ist in seltenen Fällen eine Blutwäsche (Plasmapherese) notwendig.
Nach der Akuttherapie des Schubes wird eine langfristig einzunehmende „Intervalltherapie“ oder „Schubprophylaxe“ mit einem immunmodulierenden Medikament empfohlen. Hierdurch lässt sich die Rate an entzündlichen Schüben deutlich absenken und das Risiko einer Krankheitsprogression vermindern. Es gibt immunmodulierende Medikamente (Betainterferone, Glatirameracetat) sowie immunsuppressive Medikamente (Fingolimod, Fumarsäuredimethylester, Alemtuzumab, Natalizumab, Teriflunomid, Ocrelizumab, Cladribine; weitere Reserve-Immunsuppressiva sind Azathioprin, Cyclophosphamid, Methotrexat, Mitoxantron).
Beeinträchtigende Symptome werden darüber hinaus symptomatisch therapiert (zum Beispiel Schmerzen, Blasen-, Gang- und Sprechstörung). Das optimale Ziel der MS-Therapie liegt in der Kontrolle jeglicher klinischer oder bildmorphologischer Zeichen einer Krankheitsaktivität („NEDA“ = „no evidence of disease activity“).
Anfang 2018 wurde eine neue internationale Leitlinie zur Therapie der MS erarbeitet. Hier wird eine Art gestaffeltes Vorgehen empfohlen: bei CIS und MS sollen Interferone oder Glatirameracetat verordnet werden. Bei Hinweisen für eine Krankheitsaktivität sollte auf eine wirksamere Therapie gewechselt werden, welche individuell je nach Vorerkrankungen, Vorlieben, Nebenwirkungen und anderen Faktoren ausgewählt wird. Der Originalartikel in englischer Sprache: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ene.13536/full
Mehr Informationen zur Erkrankung und zur Therapie auf der Seite der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.v. : www.dmsg.de.
Differentialdiagnose: Andere Entzündungen des Zentralnervensystems
Auch andere entzündliche Erkrankungen des ZNS können ein MS-ähnliches Bild hervorrufen. Dies gilt für die Neurosyphilis, die Neuroborreliose, eine HIV-Infektion mit Manifestation im ZNS und andere infektiöse Erkrankungen. Auch andere nicht-infektiöse chronisch-entzündliche Erkrankungen (Sarkoidose, Vaskulitis, Kollagenosen) müssen abgegrenzt werden, ebenso ein Primärtumor bzw. eine Metastase im ZNS. Weiterhin können Stoffwechselerkrankungen mit ähnlichem Bild vorliegen (z.B. Vitamin B12-Mangel als „funikuläre Myelose“; Leukodystrophien etc.). Im Stadium fortgeschrittener Gliosen im ZNS kann der MRT-Befund manchmal nur schwer von durch chronisch erhöhten Blutdruck bedingten Schäden („vaskuläre Leukenzephalopathie“) unterschieden werden.
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