Bei diesem Krankheitsbild besteht die krankhafte Erschöpfung über einen Zeitraum von über 6 Monaten fort. Neben dem Hauptsymptom Fatigue kommt es nach geringer körperlicher, geistiger oder emotionaler Anstrengung zu einer Verschlechterung der Symptomatik, die über mehrere Stunden bis sogar Tage anhält (bei CFS meist über 14 Stunden). Dies wird als postexertionelle Malaise (PEM) bezeichnet. Phasen einer deutlichen Verschlechterung der Alltagsfunktion nennen Betroffene umgangssprachlich „Crash“.
Es bestehen aber auch noch weitere Symptome, die nachfolgend aufgeführt sind:
- Schlafstörungen können sich als Ein- oder Durchschlafstörungen zeigen, wobei der Schlaf nicht erholsam ist,
- Schmerzen im Sinne von Kopf- und Gliederschmerzen (also auch an Muskeln und Gelenken),
- Neurokognitive Beschwerden: Die Betroffenen beschreiben ein eingeschränktes Denkvermögen, das sich wie Gehirnnebel oder „brain fog“ anfühlt, mit Störung von Gedächtnis, Konzentration, Wortfindung und Artikulation) und eine verstärkte Reizempfindlichkeit,
- Vegetative Störungen durch Fehlfunktion des vegetativen Nervensystems (autonome Dysfunktion). Hier wird am häufigsten ein starker Herzfrequenzanstieg nach dem Aufstehen berichtet, der als Posturales Tachykardie-Syndrom oder POTS bezeichnet wird,
- Probleme bei der hormonellen Regulation mit daraus resultierender gestörter Körpertemperatur, Temperaturempfindlichkeit und/oder Appetitveränderung.
- Zusätzlich kann es zu einem gestörten Immunsystem kommen, das sich an einer Infektanfälligkeit und häufigem Krankheitsgefühl zeigt.
- Bei belastungsabhängiger Verschlechterung kann es auch zu emotionaler Erschöpfung, Angst- und Panikzuständen und depressiver Symptomatik kommen.
Die Diagnose wird meist gemäß den kanadischen Konsensuskriterien gestellt, die alle oben genannten Symptomkomplexe umfassen. Sehr wichtig ist es, dass dieses Krankheitsbild von anderen Erkrankungen abgegrenzt werden muss, die ebenfalls eine Fatigue und auch die anderen Symptome verursachen können, die aber anders und häufig spezifisch behandelt werden. Das CFS ist also eine Ausschlussdiagnose.
Schon vor der Pandemie waren in Deutschland bei einer Prävalenz von ca. 0,3% 50.000 Menschen betroffen. Es gibt zwei Altersgipfel: Einmal der Altersgipfel im jugendlichen Alter von 11-19 Jahren, der fast immer nach einer Virusinfektion auftritt, und zwar meistens nach einer EBV (Ebstein Barr Virus)-Infektion. Der zweite Altersgipfel liegt bei 30-39 Jahren, und sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer.
Im letzten Jahrhundert kam es mehrfach zu einem gehäuften Auftreten von Fällen mit CFS, jeweils infolge von Virusinfektionen (1934 in Los Angeles, 1956 in London, 1988 in Lake Tahoe, 2002 v.a. in Asien nach SARS CoV1-Infektion, 2015 nach der MERS-CoV-Infektion und aktuell v.a. infolge der SARS-CoV2-Infektion). Da davon ausgegangen wird, dass ca. 10% der Post-Covid-Betroffenen an einem Chronischen Fatigue Syndrom leiden, hat sich die Zahl der Erkrankten seit Beginn der Pandemie drastisch erhöht. Im Rahmen der aktuellen Pandemie ist die Zahl der Betroffenen stark angestiegen, so dass aktuell von einer Häufigkeit von 140.000-310.000 Patient/Innen in Deutschland ausgegangen wird (Quelle: Bundesgesundheitsministerium, Stand 04.2023).
Nicht alle Erkrankten sind gleich schwer betroffen, so kann es leichtere Verläufe geben, bei denen zwar die Alltagsbelastung eingeschränkt ist, jedoch weiterhin eine Arbeitsfähigkeit besteht. 60% der Betroffenen sind jedoch erwerbsunfähig, 25% sogar hausgebunden.
Noch ist unklar, in welchen Fällen sich nach einer Covid-19-Infektion eine anhaltende Symptomatik manifestiert, und wann das Vollbild eines Chronischen Fatigue Syndroms auftritt (s.o. unter Was passiert klinisch und pathophysiologisch bei POST-COVID?). Eine wichtige Rolle spielt wohl die infolge der Virusinfektion auftretende systemische Entzündungsreaktion mit erhöhten und fehlregulierten Immunzellen und erhöhten Entzündungsbotenstoffen (Zytokinen) im Blut. Von großer Bedeutung sind weiterhin autoimmune Reaktionen mit der Produktion von vielen verschiedenen Auto-Antikörpern, u.a. G-Protein-gekoppelten Antikörpern. Diese Prozesse führen zu einer entzündlichen Schädigung der großen und vor allem der kleinen/kleinsten Blutgefäße (Kapillaren) und können mit einer verstärkten Gerinnungsneigung und der möglichen Ausbildung von Mikrogerinnseln einhergehen. Eine weitere Rolle spielen persistierende oder reaktivierte Virusinfektionen (Covid-Viren selbst, EBV-Viren, Herpes-Viren). Es könnte sein, dass diese anhaltende Virusbelastung die chronischen Entzündungsprozesse und autoimmunen Reaktionen triggert. (Artikel in Dtsch. Med. Wochenschr. 147, 1320-1330 (2022)). Zusätzlich verschlechternd können mögliche Organmanifestationen an der Lunge, dem Herzen und Gefäßsystem, an der Muskulatur und am zentralen und peripheren Nervensystem sein.
Therapiemöglichkeiten des Chronischen Fatigue Syndroms
Die Therapie ist aktuell symptomorientiert, wobei an allererster Stelle eine gute Einteilung der Energiereserven (Pacing) steht. Auch Stressfaktoren müssen erkannt und vermieden werden. Zu diesen gehört auch eine übermäßige Reizeinwirkung, da ja eine generelle Reizüberempfindlichkeit besteht. Entspannungsverfahren sind wichtig, um das parasympathische Nervensystem zu fördern. Spezifische Therapien sind noch nicht bekannt. Jedoch empfiehlt die Charité Berlin einen gezielten Ausgleich bzw. eine versuchsweise Substitution mit bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln, die sich bei ME/CFS als effektiv erwiesen haben (Vitamin D, B-Vitamine, Coenzym Q10, Ribose, NADH, Carnitin, Arginin, eine ausreichende Zufuhr von Eiweiß (1g/kg KG/Tag) und mit ungesättigten Fettsäuren. Ein solcher Therapieversuch sollte über 4 Wochen durchgeführt werden, bei Effektivität ggf. auch länger. Da ein Blutzuckeranstieg die Symptomatik verschlechtern kann, sollte die Zuckerzufuhr reduziert werden. Auch Ginseng in einer Menge von 2g/Tag kann versuchsweise eingenommen werden.
Daneben kann das posturale Tachykardie-Syndrom (POTS) sinnvoll mit viel Flüssigkeit und Salzzufuhr und Stützstrümpfen behandelt werden, ggf. kommen auch kardiologische Medikamente zum Einsatz.
Off label Therapien
Es gibt kleine Therapiestudien, die die Effektivität von Naltrexon, Aripiprazol und Pyridostigmin zeigen. Diese werden in geringen Dosen und vorsichtig eingesetzt, allerdings immer außerhalb der Zulassung im Rahmen von individuellen Heilversuchen, die aktuell noch nicht von den Krankenversicherungen erstattet werden. https://cfc.charite.de/weiterbildung/. Darüber hinaus gibt es Therapieversuche, pathophysiologisch bedeutsame Auto-Antikörper per Blutwäscheverfahren aus dem Körper zu eliminieren. Aktuell ist jedoch noch nicht klar, welche Patienten von diesem sehr teuren und wiederholt anzuwendenden Verfahren profitieren. Dasselbe gilt für immunsuppressive Therapien wie zum Beispiel Rituximab oder Cyclophosphamid Artikel in Dtsch. Med. Wochenschr. 147, 1320-1330 (2022).