Klinischer Verlauf und neurologische Manifestationen einer Covid-19-Infektion

Eine COVID-19-Infektion kann sämtliche Organsysteme des Menschen befallen. Am weitesten verbreitet sind laut RKI die Symptome Husten (40%), Schnupfen (29%), Fieber (27%) und Geruchs-/Geschmacksstörungen (22%). Nach den oberen und unteren Atemwegen ist zudem häufig das Zentralnervensystem (seltener das periphere Nervensystem) betroffen. Je ernster die Infektion, desto höher ist der Anteil an neurologischen Erscheinungen.
Verschiedene Erhebungen von 2000 zeigen, dass in der Zeit vor Verwendung der Impfstoffe (und bei der damals noch vorherrschenden Ursprungsvariante) eine neurologische Symptomatik bei zwischen 28% und fast 60% auftritt. Die häufigste und teilweise einzige Manifestation in der Akutphase der Erkrankung sind Kopfschmerzen und/oder eine Verminderung bzw. der Verlust des Geruchs- (Hyp- oder Anosmie) und Geschmackssinns (Hyp-/Ageusie). Viele andere neurologische Symptome bzw. Komplikationen können in der Akutphase oder im weiteren Verlauf auftreten. Insbesondere die neurologischen Spätfolgen können lange persistieren und für die Betroffenen sehr beeinträchtigend sein. Mehr Informationen über Komplikationen und Langzeitverläufe der Coronavirusinfektion finden Sie im Abschnitt zum Long-COVID- bzw. „Post-COVID-Syndrom.

Störungen des Geruchssinns

Plötzlich auftretende Störungen des Geruchssinns sind sehr verdächtig auf eine SARS-CoV-2-Infektion, denn sie sind häufig (mehr als jeder fünfte Infizierte ist betroffen) und oft das erste auftretende Symptom. Meist ist auch der Geschmackssinn reduziert. Diese Symptome treten eher bei jüngeren, zuvor gesunden Menschen auf, eher bei leichteren Krankheitsverläufen und häufiger bei Frauen. Da ein Schnupfen meist nicht vorhanden ist, wird eine direkte Invasion des Riechepithels über die Coronaviren vermutet. Meist sind diese Störungen vorübergehend, also nach 2-3 Wochen überstanden; bei 20% der Betroffenen halten sie länger an, bei 10% bis zu ein Jahr. Aktuell ist noch nicht klar, ob es auch chronische irreversible Störungen gibt. Siehe hierzu auch das Kapitel Long-COVID- bzw. Post-COVID-Syndrom.

Kopfschmerzen

Kopfschmerzen sind ebenfalls ein häufiges Symptom: Daten aus China von 2000 gaben einen Anteil von 7-15% der Infizierten an. Sie sind meistens schläfenbetont oder im ganzen Kopf lokalisiert, eher drückend, werden als gering bis mäßig wahrgenommen und sind bei ca. 40% der Infizierten das einzige Symptom der Erkrankung. Wenn sie früh im Verlauf auftreten, scheint dies einen milderen Verlauf der Erkrankung vorherzusagen. Bei einem Teil der Patienten halten die Kopfschmerzen jedoch nach der Akutphase noch länger an, können also eine chronische Kopfschmerzerkrankung hervorrufen.

Schlaganfall

Studien zufolge liegt die Rate an Schlaganfällen bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten bei 6% (laut Studie in Wuhan 2020) bis 12% (laut Studie der Uniklinik Essen 2020), wobei Durchblutungsstörungen (Ischämien) häufiger auftreten als Hirnblutungen. Als Ursache für Ischämien ist meist eine entzündungsbedingt erhöhte Gerinnbarkeit des Blutes. Diese kann auch eintreten, wenn die Manifestation an den Atemwegen nur leicht ist. Übrigens scheinen Menschen mit Schlaganfall in der Vorgeschichte (also meist erhöhten kardiovaskulären Risikofaktoren) ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für einen schweren Corona-Krankheitsverlauf zu haben. Die Therapie eines Schlaganfalls bei COVID-19-Patienten unterscheidet sich abgesehen von den strengeren Hygienemaßnahmen nicht von der normalen Schlaganfallbehandlung.

Entzündlich bedingte Hirnschädigung: Enzephalitiden und Enzephalopathien

Meningoenzephalitis und Enzephalomyelitis

Eine Entzündung des Gehirns bzw. der Gehirnhäute (Meningoenzephalitis) ist eine sehr seltene Komplikation einer Coronavirusinfektion. Denn eine direkte Infektion des Gehirns durch die Viren (und demnach Virusnachweis in der Hirnflüssigkeit) findet nur bei einem Bruchteil der Infizierten statt. Eintrittspforten sind die geschädigte Blut-Hirn-Schranke, die Lymphflüssigkeit oder die Nervenzellen in der Riechschleimhaut oder den Atemwegen. Bei diesem Krankheitsbild treten Bewusstseinsstörungen, plötzliche Denkstörungen, epileptische Anfälle und eventuell plötzliche Bewegungs- und Reaktionsstarre (akinetischer Mutismus) auf.

Häufiger als ein direkter Befall des Gehirns mit Viren ist ein durch die Infektion hervorgerufenes autoimmunes (also gegen den eigenen Körper gerichtetes) Entzündungsgeschehen, das mit Auffälligkeiten des Gehirns in der Bildgebung und der Nervenflüssigkeit einhergeht. Selten und sehr dramatisch zeigt sich diese Autoimmunreaktion als eine in der Kernspintomographie sichtbare großflächige akute Entzündung des Gehirns und Rückenmarks mit neurologischen Ausfällen, als „akut disseminierte Enzephalomyelitis“ (ADEM).

Diffuse Hirnfunktionsstörung (Enzephalopathie)

Eine Enzephalopathie wurde bislang bei 6% der stationären COVID-19-Patienten beobachtet, bei Patienten auf Intensivstationen dagegen bei 50%! Betroffene Patienten können vielfältige Veränderungen des Verhaltens und des Wesens, Bewegungsstörungen, Bewusstseinsstörungen und auch bestimmte neurologische Ausfälle und epileptische Anfälle zeigen. Als ursächliche Faktoren können der Sauerstoffmangel, die schwere Entzündungssituation im ganzen Körper, ein Nierenversagen oder die erhöhte Produktion von Entzündungsmediatoren (der „Zytokinsturm“) sein. Entsprechend wurden im Blut schwer kranker COVID-19-Patienten erhöhte Entzündungsmarker (IL-2, IL-6, IL-7, GCSF, TNF-alpha) gefunden. Bei diesem Krankheitsbild ist das Gehirn teilweise kernspintomographisch unauffällig, es kann aber auch zu Hirnschwellung (Ödem), Einblutungen und einem Absterben und Abbau von Hirnsubstanz (Nekrose) kommen. In der Nervenflüssigkeit werden teilweise Antikörper gegen spezielle körpereigene Partikel (Autoantikörper) gefunden.

Epilepsie

Im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung kann es zu epileptischen Anfällen und sogar einem anhaltenden Status epilepticus kommen. Bei einer bekannten Epilepsie kann die Infektion epileptische Anfälle auslösen, was aber wohl relativ selten eintritt. Ein erster epileptischer Anfall ist als „akut symptomatischer Anfall“ ebenfalls möglich, wenn durch die Infektion eine fassbare Hirnschädigung eingetreten ist. Eine länger anhaltende unklare Bewusstseinsstörung bei COVID-19-Patienten kann unter Umständen Ausdruck eines Status epilepticus sein kann, die Klärung erfolgt hier u.a. mittels Ableitung der Hirnströme (EEG).

Muskelschmerzen

Auch die Muskulatur und das periphere Nervensystem können duch die Infektion betroffen sein, was sich meist mit Muskelschmerzen, Ermüdbarkeit und häufig einer Erhöhung des Muskelenzyms Kreatinkinase (CK) manifestiert. Darüber hinaus kommt es bei einem schweren Erkrankungsverlauf mit Aufenthalt auf der Intensivstation und künstlicher Beatmung häufig zu einer Muskelschädigung. Diese wird als „critical illness-myopathy“ bezeichnet und geht oft mit einer Schädigung der peripheren Nerven („critical illness-polyneuropathy“) einher, was zusammen als „ICU-acquired weakness“ bezeichnet wird. Je länger der intensivmedizinische Aufenthalt ist, desto gravierender sind die auftretende Muskelschwäche und der Muskelverlust, die Atemschwäche und die Empfindungsstörungen.

Nervenentzündung

Eine weitere Komplikation einer COVID-19-Infektion ist die Entzündung der Nervenwurzeln und Nerven, die „akute demyelinisierende Polyneuritis“ (AIDP) oder auch „Guillain-Barré-Syndrom“ (GBS) genannt wird. Hier kommt es zur Schädigung einzelner, teils aller peripherer Nerven, teils sogar auch der Schädigung von Hirnnerven. Diese tritt meist innerhalb der ersten zwei Wochen der COVID-19-Diagnose auf, teils aber auch erst Wochen nach der Erstinfektion. Die Erkrankungsschwere der Coronavirusinfektion ist dabei nicht entscheidend, im Gegenteil kommt es auch bei milden oder sogar asymptomatischen Verläufen zu dieser Komplikation. Es gibt sehr milde Verläufe der Nervenentzündung, die ausschließlich mit Sensibilitätsstörungen an den Füßen und Unterschenkeln einhergehen, aber auch sehr schwere Fälle mit schnell aufsteigenden Gefühlsstörungen und Lähmungen, die beide Beine und Arme, die Hirnnerven und auch die Atemmuskulatur betreffen können. Hier ist eine schnelle Entnahme und Untersuchung der Nervenflüssigkeit notwendig, um die Diagnose stellen zu können. Therapeutisch werden Immunglobuline oder ein Plasmaaustauschverfahren eingesetzt, in sehr ausgeprägten Fällen müssen die Betroffenen auf die Intensivstation aufgenommen werden, um die Atmung zu unterstützen.

Long-COVID-/Post-COVID-Syndrom

Sehr häufig treten länger anhaltende bzw. chronische Symptome und Beeinträchtigungen nach einer Infektion mit COVID-19 auf. Siehe hierzu das nachfolgende Kapitel zum Long-COVID- und Post-COVID-Syndrom.